22:36 Uhr – Ein bisschen über den Bodensee hinweg, ein Stück durch Vorarlberg, über die Schweizer Grenzen und dann nur noch ein bisschen, schon sind wir im Kanton Appenzell. Und dort wird von der Brauerei Locher das Appenzeller Bier gebraut. Zu später Stunde öffne ich mir heute noch eine Flasche Schwarzer Kristall, ein Bier, das nach alter Tradition mit Röstmalz gebraut wird.
Das Etikett erinnert etwas an Kirchenmalerei und stellt folgendes Szenario dar: Rechts ist ein junger Mann im gestreiften Rock und mit befedertem, grünen Hut zu sehen. Er verbeugt sich tief und hält in beiden Händen ein Tablett, auf dem schwarze, eckige Kristalle liegen. Diese bietet er offensichtlich einer Dame an, die ein langes, weites, violettes Kleid trägt, in der Rechten einen steinernen Krug und in der Linken ein überschäumendes Glas voll hellem Bier. Den Kopf hat sie skeptisch zur Seite gelegt. Zwischen den beiden steht eine Katze mit goldenem Halsband und langer Zunge, die wohl zur Frau gehört und den Mann anknurrt. Was will uns das Bild sagen? Lieber ein kühles Bier als edle Kristalle?
Was für eine Schönheit im Glas! Zurecht spricht man hier von einem Edelstein. Obwohl das Bier „nur“ 6,3 Prozent hat, fließt es fast ölig ins Glas. Es ist tiefschwarz und von einer braunen Schaumschicht bedeckt, die leider nicht die größte Ausdauer hat. Aromen von dunkler Schokolade und getrockneten Beeren kommen in die Nase, aber nicht zu intensiv. Bald verdrängt intensive, schwere Lakritze das zuvor Erkannte.
Der Antrunk ist weich, vollmundig, schwer – und vor allem auch süß. Die Süße führt mich jetzt zu sehr dunklen Heidelbeeren, und zwar zu frischen Heidelbeeren. Das ist wirkliche eine tolle Fruchtigkeit, die sich hier völlig unerwartet in diesem schwarzen Bier zeigt. Das milde Röstmalz sorgt, ebenfalls in Kombination mit der Süße, für einen schokoladigen Charakter. Es ist sicher dunkle Schokolade, aber noch mit einer guten Süße. Zusammen mit den dunklen Beeren ist das wirklich ein Genuss.
Faszinierend sind noch weitere Erkenntnisse, die dieses Bier liefert: Es ist zugleich weich, fast schon cremig, aber auch moussierend. Eine schöne Sache. Es ist (vermutlich) untergärig gebraut, erinnert aber sehr stark an ein obergäriges, aromatisches Stout. Und zu guter Letzt: Trotz der feinen Röstaromatik ist quasi keine Bittere auszumachen. Das ist große Kunst.
Entsprechend ist auch der Abgang weich und süßlich, die Heidelbeere bleibt im Spiel. Vor allem im Nachgang zeigt sich dann die Schokolade wieder, es wird etwas trocken und erinnert nun an staubiges, aber süßes Kakaopulver. Dazu gesellt sich eine fruchtige Säure, die das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt. Was für eine unerwartete Überraschung, dieses Appenzeller Bier!